Energiehaushalt: Erst sortieren, dann sanieren

Die Schweiz ist bebaut. Rund 1.8 Millionen Gebäude stehen im Land, und pro Jahr wird nur ein Prozent dieses Gebäudebestandes saniert. Es dauert also rechnerisch 100 Jahre, bis der Gebäudebestand im Land durchgehend erneuert ist – das wäre zu langsam, um die Energiewende zu schaffen.

Doch bevor die Politik stimulierende Förderprogramme beschliesst, muss diese gewaltige Aufgabe zunächst gegliedert werden: Welche Massnahmen sind wo sinnvoll? Womit fangen wir an?

Das Heizen und Kühlen von Gebäuden trägt zum CO2-Ausstoss in allen Industrieländern massgeblich bei. Um die Klimaziele des Bundesrats zu erreichen – Netto Null bis 2050 – muss also auch der Gebäudepark der Schweiz einen Beitrag leisten. Doch Planer und Entscheider brauchen eine Handreichung, um die passenden Massnahmen in der richtigen Reihenfolge einzuleiten. 2019 hat Kristina Orehounig mit ihrem Forscherteam eine solche Sortierung angestellt.

Archetypen aller Häuser der Schweiz

Es gibt rund 1.8 Millionen Wohngebäude in der Schweiz. Den Sanierungsbedarf für jedes Haus einzeln zu modellieren, würde einen gewaltigen Rechenaufwand bedeuten. Also griffen die Empa-Forschenden auf „Data Mining“ zurück. Sie durchforsteten nationale Datenbanken und sortierten die Gebäude in 50 verschiedene Archetypen, sortiert nach Baujahr, Heizungstyp und Anzahl der Bewohner. Ergebnis: Die Mehrheit der Gebäude wurde zwischen 1949 und 1994 erbaut, und 77 Prozent dieser Gebäude werden elektrisch, mit Öl oder Gas beheizt. Hier zeigt sich also ein beachtliches Sanierungspotential.

Die gleiche Typisierung nahmen die Forscher bei Gewerbebauten in der Schweiz vor, sortierten sie an Hand von Datenbanken in 45 verschiedene Archetypen – Restaurants, Schulen, Spitäler, Büros und Ladengeschäfte, jeweils unterteilt nach Grösse und Baujahr.

Da Solarenergie eine wesentliche Basis für die Energieversorgung der Zukunft darstellt, wurden alle Archetypen auf ihre Eignung für Photovoltaik abgeklopft. Dazu dienten Klimadaten der jeweiligen Region, in der das Haus steht, sowie Dachgeometrie-Daten vom Bundesamt für Landestopografie (Swisstopo), die Rückschlüsse auf die Grösse und Neigung der Dachfläche ergaben.

Stadt und Land

Die Auswahl der passenden energetischen Sanierungsmethode hängt auch von der Bebauungsdichte ab: Häuser in der Stadt können effizient an ein Wärmenetz angeschlossen werden – bei weit auseinanderliegenden Gebäuden auf dem Land ist ein Wärmenetz oft nicht sinnvoll. Folglich muss der Schweizer Gebäudebestand auch nach Stadt und Land sortiert werden.

Die Forscher teilten die gesamte Schweizer Landesfläche in Kacheln von einem Quadratkilometer Grösse auf, Kacheln ohne Häuser wurden ignoriert. Der Rest wurde erneut mit Hilfe von öffentlichen Datenbanken sortiert – abhängig von der Summe der Wohnfläche, die sich auf jeder Kachel befindet, sowie anderen Charakteristiken. Das Ergebnis sind zwölf Schweizer Nachbarschafts-Archetypen: vier städtische (urban), vier vorstädtische (suburban) und vier ländliche Archetypen, die die Verteilung der Gebäude in der Schweiz beschreiben.



So saniert man wirkungsvoll

Nach all der Sortierarbeit konnten Sanierungsmassnahmen für die einzelnen Archetypen berechnet werden. Fazit: Es lohnt sich, die Sanierung von Dächern und die Erneuerung von Fenstern bei älteren Häusern besonders rasch anzugehen. Alleine dadurch kann der Bedarf an Heiz- und Kühlenergie um 20 bis 30 Prozent gesenkt werden.

In einem nächsten Schritt sollten bei fast allen Haustypen Sanierungen der Heizanlagen folgen – Mehrfamilienhäuser, Schulen und Bürogebäude können dabei oft kostengünstiger saniert werden als freistehende Einfamilienhäuser. Warum? Bei grösseren Gebäuden wirkt sich eine Sanierung der Heizanlage auf viele Quadratmeter bewohnter Fläche zugleich aus. Jeder technische Eingriff ist damit wirkungsvoller und kostengünstiger.

Vernetzung und Speicherung planen

Mit dem Umbau des Energiesystems wird die Planung und der Betrieb von Gebäuden und Quartieren immer komplexer. Solarenergie wird vor allem im Sommer zur Mittagszeit generiert, soll aber während des ganzen Tages, vielleicht sogar im Herbst und Winter verbraucht werden. Es sind also neue Energiespeicher für Stunden oder Tage, sowie Langzeitspeicher über Monate notwendig, um die Energienachfrage zu allen Zeiten zu decken.

Die Empa erforscht Batteriespeicher für Elektrizität sowie verschiedene Wärmespeichertechnologien ebenso wie die Umwandlung von Solarstrom in Treibstoffe, um diese Herausforderung zu meistern. Die Speicherung nachhaltig erzeugter Energie sollte nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf Gebäude oder Nachbarschaftsebene geschehen. Zugleich müssen möglichst rasch fossile Heizsysteme, etwa Gasboiler, durch neue und nachhaltige Systeme ersetzt werden – etwa Wasserstoff-Brennstoffzellen, ein Fernwärme-Anschluss oder Wärmepumpen, gespeist aus erneuerbarem Strom. Der ganze Umbau soll zudem nach sozialen und ökonomischen Kriterien ausbalanciert sein. All diese Entscheidungen brauchen eine wissenschaftlich fundierte Basis. Den Forschenden, die Energiemodelle berechnen, wird die Arbeit so schnell nicht ausgehen.

Treibhausgase einsparen

Wichtig ist es, fossile Brennstoffe so rasch als möglich zu ersetzen – durch Photovoltaik auf dem Dach und auf Fassaden. Die Wärmeerzeugung kann dann etwa durch Luft-Wärmepumpen geschehen, die mit eigenem Solarstrom oder anderen erneuerbaren Energiequellen betrieben werden. Auch Biomasse-Heizungen – Biogas oder Holzpellets – verringern den CO2-Ausstoss wirkungsvoll.

Am Ende der Analyse zeigt sich Kristina Orehounig hoffnungsvoll: „Wenn die vorgeschlagenen Massnahmen ergriffen werden, können die Treibhausemissionen im bestehenden Gebäudepark der Schweiz um 60 bis 80 Prozent gesenkt werden.“

 

Quelle: Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
Bildquelle: Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

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